Die Broken i-Pod Theorie


Mein i-Pod ist im Arsch. Innerhalb einer Woche habe ich ihn komplett demoliert. Nun ist er verkratzt, die Knöpfe gehen nicht mehr und die Scheibe ist zerschlagen. Er ist nur noch halb so schön anzusehen wie zuvor. Das komische ist nur, ich bin sehr erleichtert.
Ich habe mir dieses hübsche Ding, mit dem verchromten Rücken und der schwarzen, anmutig glänzenden Vorderseite einst in New York gekauft. Schnell hatte ich eine intime Bindung aufgebaut. Ich hatte viel Spass mit ihm, aber ich war auch oft besorgt um ihn. Zu oft. Jeder neue noch so kleine Kratzer fühlte sich so schlimm an, als wenn ich ein neues Muttermal auf meiner Brust kriege. Ich hatte Zeiten, da fing ich an ihn zu hassen. Ihn zu verdammen, weshalb er nicht einfach schön bleiben könne.
Wir alle haben unsere Fetische, die wir verehren. Es gibt viele Theorien weshalb wir das tun und ich möchte diese Frage nicht weiter thematisieren. Viel aktueller ist für mich momentan die Frage weshalb es uns so schmerzt, wenn unser Fetisch schaden erleidet, wir dann aber doch erleichtert sind wenn er zerbricht, aber weshalb wir uns dann doch wieder einen Neuen anschaffen. Dieser ewige Kreislauf ist doch sinnlos und unproduktiv. Es wäre doch besser, die Gegenstände wären von Beginn an im Arsch oder würden zumindest einst erbaut, nie wider repariert werden. Vor einigen Tagen sah ich eine Reportage über Tiflis. Grosse Teile der Stadt sind ziemlich heruntergekommen und wunderschön. Dieser Zerfall der dort herrscht hat etwas anmutiges, erzählerisches und feinfühliges, das hier in Westeuropa schier zur Gänze verschwunden ist. Diese Schönheit der Zerstörung ist eine Faszination der wir uns immer wieder gerne hingeben. Am liebsten natürlich, wenn diese Zerstörung uns nicht selbst betrifft. Das zeigt Werner Herzog in seinem Film „Lektion in Finsternis“ wunderbar. In Kuwait brennen 1991 die Ölfelder. Eine Katastrophe, eine Tragödie und eine Zerstörung der Umwelt, die ihresgleichen sucht. Und trotzdem, wir betrachten sie fasziniert, können den Blick nicht abwenden von der gewaltigen Schönheit der Zerstörung. So erklärt Herzog passend, „Der Zusammenbruch der Sternenwelt wird sich – wie die Schöpfung – in Grandioser Schönheit vollziehen“.
Die Broken Windows Theorie von Kelling und Wilsons besagt das sobald in einem Quartier eine Scheibe zu Bruch geht, sie umgehend repariert werden muss, da sonst schnell die nächste eingeschlagene Scheibe folgen wird. Dem kommen laut dieser Theorie Sprayereien an den wänden, Kriminalität in den Strassen, und schlussendlich der Zerfall des ganzen Quartier hinzu. Nur, was ist so schlecht dabei? Würde es uns, abgesehen von der Kriminalität, nicht besser gehen wenn alles ein bisschen zerstört wäre. Könnten wir nicht viele blöde alltägliche Sorgen dadurch beseitigen? Wir könnten unsere teuren Versicherungen künden, die all unser Gut schützen sollen und die wir doch so selten brauchen. Wir könnten das Geld, das wir für die Renovation der Fassade unseres Einfamilienhauses brauchen, spenden. Und wir könnten der Stadt klarmachen, dass er das viele Geld, das er zur Sanierung unsrer überqualifizierten Infrastruktur ausgibt, lieber in die unterqualifizierte Bildung investieren soll.
Die Broken iPod Theorie besagt also, dass umso mehr wir uns durch die Nicht-Erneuerung unserer materiellen Güter von ihnen lösen können, umso glücklicher werden wir. So können wir uns wieder anderen Bereichen des Lebens hingeben. Bereichen, die eine weitere Zukunft haben. Wir müssen nur bereit sein endlich einzusehen, dass alles im Leben leider vergänglich ist. Zumindest alles Materielle. 

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